*Bildquelle: Dirk Beichert
Aline Aha: Zu Gast haben wir heute Cliff Lehnen. Er ist Chefredakteur der Personalwirtschaft und Redaktionsleiter der Personalmedien beim FAZ Fachverlag. Wie bist du eigentlich zum Journalismus gekommen?
Cliff Lehnen: Ich habe immer schon gerne geschrieben. Ich habe dann irgendwann festgestellt, dass mir das halbwegs liegt. Habe dann, wie man das so macht, als Schüler meine ersten Praktika gemacht, damals bei der Rheinischen Post in Düsseldorf und Umgebung und bin dann eigentlich da kleben geblieben. Irgendwas mit Medien studiert, das hat man Anfang der Nullerjahre so gemacht. Und dann tatsächlich mich auch auf den Bereich Journalismus spezialisiert im Master. Dann war ich eine Zeit lang auch mal auf der anderen Seite des Schreibtisches. Ich habe damals auch ein bisschen PR gemacht, aber bin dann irgendwie an die Personalwirtschaft geraten. Hier und dort hatte ich noch mal kleine Umwege zwischendurch, aber irgendwie bin ich immer wieder zurückgekommen und jetzt bin ich schon viele Jahre dort unter diesem gelben Label.
Sascha Marquardt: Beginnen wir doch heute mit der Veränderung der Arbeitswelt, oder wie du sagen würdest: Die Arbeitswelt hat sich auf links gedreht. Welchen Einfluss hat denn aus deiner Sicht das Thema Digitalisierung auf die Personalwirtschaft?
Cliff Lehnen: Digitalisierung ist natürlich eines der absoluten Trend- und Boom-Themen, dadurch einfach, dass die Corona-Pandemie das Thema noch mal so richtig aufs Tapet gebracht hat. HR ist jetzt allgemeinhin nicht als der Vorreiter für Digitalisierungsthemen bekannt in den Unternehmen, gilt eher so ein bisschen als der Bremser, unter uns gesagt. Das sagen auch Studien. Das sagt auch eine Studie, die wir gerade in Veröffentlichung haben, die Ende des Jahres erscheinen wird (redaktionelle Anmerkung: Ende des Jahres 2021). Da ist ein Ergebnis, dass die anderen Abteilungen so ein bisschen auf HR schauen und sagen: Digitalisierungsmäßig geht da nicht so viel. Da hat sich aber ein bisschen was getan. 51 Prozent der Befragten haben gesagt: Da hat sich ein ganz schöner Sprung ereignet. Und man sieht also, dass in verschiedenen Bereichen, insbesondere in den Basic-Bereichen, also was die E-Akte, die digitale Signatur anbetrifft, solche Themen, da ist HR ein Stück weiter gekommen und plant auch da noch Investitionen, sodass da gewisse Lücken geschlossen werden. Aber für i-Tüpfelchen Themen, so wie HR-Analytics, People Analytics, also wirklich qualitative Daten getriebener Personalarbeit – da fehlt noch ein gutes Stück, das ist nur bei 8 Prozent der befragten Unternehmen wirklich im Einsatz. Also das heißt, man sieht: Digitalisierung, da tut sich was, ein Thema, was für HR immer wichtiger wird, aber wo es auch noch viel Luft nach oben gibt.
Sascha Marquardt: „Personalabteilung“ oder „Human Resources“ ist gar nicht mehr so schick. Heutzutage nennt man es auch People Business. Was sind denn so die größten Herausforderungen gerade im Personalwesen für die nächsten paar Jahre? Wo stehen die Personaler, vor welchen großen Herausforderungen?
Cliff Lehnen: Also das Thema Fachkräftemangel ist natürlich eines, das wird eigentlich seit 15 Jahren verhandelt. Es wird aber auch nicht weniger. Also wenn wir uns beispielsweise im Pflegebereich, im gesamten Medizinsektor umschauen, dann ist das Thema Fachkräftemangel natürlich eines der ganz wesentlichen. Aber auch was diese Veränderungen jenseits der reinen Digitalisierung anbetrifft. Also das Stichwort Kultur, Unternehmenskultur, Führungskultur. Das sind Themen, die glaube ich – auch beschleunigt durch Corona – ganz viele PersonalerInnen in den nächsten fünf bis zehn Jahren immens beschäftigen werden, weil es einfach verdammt viel zu verändern gibt. Die Geschäftsmodelle waren vorher schon in Wallung, ins Wanken geraten und Corona hat das alles noch mal wirklich beschleunigt. Und deswegen geht es nicht nur darum, ein neues Business zu entwickeln. Auch eine Technologie zu haben, die das mitträgt, die das supportet und dann eben auch Mitarbeitende, Führungskräfte und eine Kultur zu haben, die das Ganze auch befördert und befähigt. Und das sind so die Herausforderungen, vor denen ganz viele Personaler stehen. Aber im täglichen Doing ist es dann eben doch einfach oft das Recruiting: Die richtigen Leute zu finden und das möglichst schnell, denn das ist die Anforderung aus dem Business.
Aline Aha: Beobachtest du bestimmte Maßnahmen oder Strategien, die momentan, nach dieser einschneidenden Zeit, erfolgreiches Talent-Recruiting ausmachen?
Cliff Lehnen: Ich glaube, neun von zehn Befragten glauben, dass wenn sie Arbeitsort und Arbeitszeit flexibilisieren, dass sie attraktiver werden für Talente aller Art. Also dieses Thema, zumindest nach außen in der Stellenanzeige hin zu verkünden: Wir bieten Remote-Arbeit an, wir bieten flexible Arbeitszeiten, Arbeitsorte an, das scheint ein wahnsinniges Thema zumindest unter HRlern zu sein. Der Glauben ist da, dass man sagt, damit können wir heutzutage wirklich die Leute zu uns holen. Und ansonsten im Recruiting Bereich natürlich, wir hatten eben über Digitalisierung gesprochen, da gibt es auch noch jede Menge Nachholbedarf, was die entsprechenden Tools, was die Bewerbermanagement Software anbetrifft, was die Telemanagement Software anbetrifft. Und auch da sind natürlich ganz viele Unternehmen im E-Recruiting gerade dabei, sich digitaler aufzustellen oder auch da kennzahlengetrieben vorzugehen. Wir haben da eine Titelstrecke diesen Sommer dazu gemacht, zum Thema Recruiting KPI und, obwohl wir das zum letzten Mal vor vier Jahren gemacht haben, merkt man: Es nutzen inzwischen mehr Unternehmen KPIs, also Kennzahlen im Recruiting, aber es ist immer noch ein großer Gap zu diesem wirklich strukturierten Recruiting-Controlling. Also zu gucken: Wen habe ich denn da überhaupt gewonnen über die Stellenanzeigen, die ich gepostet oder sonst wo ausgeschrieben habe? Was sind das für Leute? Passen die in mein Profil? Wie viele bewerben sich dann? Wie viele bleiben am Schluss noch über bis zu einer Einstellung? Also dieser sogenannte Recruiting Funnel, den wirklich gezielt durchzugehen, das machen immer noch sehr wenige, glaube ich. Und da geht noch einiges diesbezüglich.
Aline Aha: Topqualifizierte Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern Sie dann auch langfristig zu halten, zu motivieren, zu begeistern wird immer wichtiger. Welche Trends siehst du denn hier und wie stellen sich Unternehmen für die Zukunft auf?
Cliff Lehnen: Also Mitarbeiterbindung ist ja immer weniger etwas, was, wie noch vor zwei Jahren, im Büro stattfindet. Denn ich sage mal, die Wissensarbeiter aller Länder wurden ja nun mal größtenteils verlegt in ihre Home Offices. Wenn man sich so Zahlen anschaut, wird es wahrscheinlich auf eine hybride Arbeitswelt hinauslaufen, die so um die 50/50 im Büro und im Homeoffice oder Remote, wo auch immer stattfindet. Und dementsprechend ist natürlich Arbeitgeberattraktivität viel weniger etwas, was sich über ein cooles Office, einen Campus und Tischkicker oder auch eine gute Kantine oder Vorort-Benefits auszeichnet, sondern etwas, was sich gerade so ein stückweit auch neu ergibt. Und da sind natürlich entsprechende Benefits immer interessant. Es gibt Benefits, die jenseits des Büros wirksam werden. Und das zum Beispiel ist etwas, was interessant ist. Das Thema Flexibilität ist eines, da stimme ich unseren Befragten auch durchaus zu, was sicherlich viele vor allem junge Leute sehr schätzen. Aber man darf auch nicht vergessen: Es gibt jede Menge Leute, die auch gar nicht so ungern ins Büro gegangen sind. Und auch da eine Kultur zu schaffen, eine Art des neuen Miteinanders vor Ort, was neu justiert, warum wir eigentlich ins Büro gehen, warum wir uns da treffen, dass wir wertschätzen und vielleicht wieder auch gelernt haben, durch diese Krise, durch diese Pandemie und durch diese Distant-Work Phase, was es eigentlich heißt, auch miteinander gut zu arbeiten. Also auch an der eigenen Arbeitskultur zu arbeiten, an der Meetingkultur zu arbeiten, wirklich zu gucken: Warum bin ich präsent im Büro? Und wenn ich das wieder wertschätzen lerne und da auch eine Priorität setze auf die zwei oder drei Tage die Woche, wo ich im Büro bin, dann kann das, glaube ich, auch zu einer neuen Mitarbeiterbindung führen.
Sascha Marquardt: Wenn du mal von deiner Warte aus auf die Unternehmen blickst, im Allgemeinen oder im Bereich der Personalkontakte, die ihr habt, wie sind die Unternehmer da aufgestellt beim Thema betriebliche Gesundheit?
Cliff Lehnen: Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein Thema, was sich sehr verändert hat durch die Pandemie. Vorher ging es sehr stark um die Muskel-Skelett-Erkrankungen. Es ging aber natürlich auch um psychische Erkrankungen. Da hat man versucht, auf der einen Seite vorzubeugen, klassisch durch die betriebliche Gesundheitsförderung, also vor Ort Leute zu mobilisieren, Rückentrainings zu machen, Sportangebote und ähnliches. Man hat gleichzeitig versucht dem Thema Work-Life-Balance stärker entgegenzukommen. Das Thema Burnout-Vorbeugung. Das Thema Achtsamkeit ist sehr stark aufgekommen in den letzten Jahren. Also alles vor Corona. Und seit Corona merken wir natürlich diesen Sturz ins Homeoffice. Den hat auch kein BGMler sozusagen vorweggenommen in der Form. Und plötzlich haben die Führungskräfte nach zwei, drei Monaten gemerkt: „Mensch, ich weiß eigentlich gar nicht mehr, was beim Kollegen XY wirklich da los ist. Ich sehe immer mal wieder ein Kind durch den Hintergrund springen. Neulich habe ich ihn auf Teams angeschrieben, da war gar nichts und der wirkte auch ein bisschen durch den Wind.“ Was ich damit sagen will: Dieses genauer hinsehen, genauer nachfragen: „Wie geht es dir denn eigentlich wirklich?“ Und sich dann auch verlassen können oder verlassen wollen auf eine Antwort und womöglich zu gucken, was könnten da nächste Schritte sein, wenn ich das Gefühl habe, das stimmt aber gerade nicht. Das ist eine neue Anforderung an Führung geworden und auch dann übergeordnet an BGM und HR. Und das Thema Mental Health ist natürlich eines, was in dieser Krise durch die Decke gegangen ist. Das: „It`s okay to talk about it.“ Dieses: „Es geht mir gerade nicht so gut und ich öffne mich und spreche da drüber und bin da offen.“ Das ist glaube ich etwas, was diese Zeit sehr stark hervorgebracht hat und was sich, glaube ich, auch nachhaltig verändern wird. Gerade junge Leute haben kein Problem mehr, scheinbar teilweise damit, über Depressionen oder ähnliches zu sprechen. Also Dinge, die vielleicht in unserer Generation – ich bin Generation Y – und vor allen Dingen darüber, in der Generation X noch als vermeintliche, ich will das gar nicht so sagen, dass das meine Meinung ist, aber die als vermeintliches Eingestehen von Schwäche irgendwie markiert waren. Das glaube ich, verändert sich sehr stark und das ist eine neue Anforderung, die jetzt durch die Corona-Zeit auch in BGM noch mal erwachsen ist.
Aline Aha: Hast du das Gefühl, dass Unternehmen, was die Kultur betrifft, schon strategisch reagiert haben oder befinden wir uns noch in einer Zeit, in der ad hoc auf die neuen Anforderungen einer post-Büro-Welt reagiert wird, also noch ohne langfristige Strategie?
Cliff Lehnen: Wir hatten neulich einen Zielgruppen-Workshop mit PersonalerInnen und da haben wir unter anderem das Thema Unternehmenskultur debattiert. Ich glaube schon, dass es sehr viele wache Personalabteilungen gibt, die jetzt deutlich gesehen haben, dass es Veränderungen gibt. Ein Thema, was wir diskutiert haben, war die Sorge vor möglichen Spannungen in der Belegschaft. Also sprich, wir haben Betriebe, wo es einen Teil an Mitarbeitenden gibt, die etwa am Band arbeiten, oder im OP oder im Labor oder irgendwo, wo man nun mal einem Schichtdienst unterliegt und wo man nicht ins Home Office wechseln kann und wo aber trotzdem ein anderer Teil der Belegschaft fröhlich aus dem Home Office arbeitet und mit irgendwelchen Stellenanzeigen geködert wird. Du kannst jederzeit und überall arbeiten und das ist dort sozusagen ein cultural gap, ein cultural divide oder von mir aus auch ein „Clash of Cultures“ oder „Krampf der Kulturen“. Dass da sozusagen die white collar- gegen die blue collar-Belegschaft so ein bisschen ausgespielt ist und dass sich dadurch Probleme ergeben. Das war ein Thema, was wir diskutiert haben. Wir haben auch die Frage diskutiert: Wie kann man Nähe wirklich wieder schaffen? Wie schafft man das in einer Zeit, die uns jetzt alle gelehrt hat: Wir müssen Abstand halten, wir müssen zu Hause bleiben – das war nun mal ein Mantra, was wir fast Monate vor uns hergetragen haben. Und das jetzt wieder rauszukriegen aus den Köpfen, den Leuten irgendwie wieder eine neue Art von Nähe auch zu ermöglichen über Unternehmenskultur und Zusammenarbeit. Das ist, glaube ich, auch ein Thema, was in vielen Personalabteilungen gerade diskutiert wird. Mal um zwei Beispiele zu nennen. Aber ein ganz tolles Statement vielleicht aus dem Workshop noch, das ist nicht von mir, da ging es um den Transfer von Kultur und das Ansehen von fremden Kulturen bzw. fremden Unternehmenskulturen. Man schaut ins Silicon Valley und man sagt: „Oh, das ist aber alles so super, das wollen wir jetzt auch.“ Man versucht das rüber zu holen und zu implementieren in einem tradierten Konzern. Klappt meistens nicht, wie wir sehen. Da sagte ein Teilnehmer: „Na ja, du kannst eine Dschungelpflanze aus dem Amazonas auch nicht in der Soester Börde pflanzen, da geht sie halt auch ein.“ Denn das passt einfach nicht zusammen. Und das muss man eben auch bei Unternehmenskultur immer bedenken. Das ist hoch kontextrelevant und funktioniert eben nicht immer per Blaupause.
Sascha Marquardt: Neue Zeiten verlangen irgendwie auch neue Personalfunktionen. Stichwort: Hybrid HR. Was verbirgt sich da dahinter?
Cliff Lehnen: Wir haben Anfang des Jahres diesen Begriff eingeführt in die HR-Szene, weil wir einfach gesagt haben: Was wir beobachten, ist, es schält sich eine neue hybride Arbeitswelt raus. Das heißt, Arbeit justiert sich neu zwischen Office und Home Office. Und wir haben uns gefragt, wie reagiert eigentlich HR auf diese Entwicklung und sind hingegangen und haben eine Studie gemacht. Wir haben also über 200 PersonalerInnen befragt und haben geschaut: Was sind Themen, die euch gerade in dieser Zeit bewegen? Wie schafft ihr all diese Dinge, die wir jetzt eben schon diskutiert haben? Wie geht ihr damit um und wie glaubt ihr, entwickelt sich diese Profession in die Zukunft? Wir sind dann im September in diesen Workshop gegangen, haben also quasi noch ein qualitatives Element hinzugefügt und werden jetzt im November/Dezember diese Ergebnisse publizieren. Also sozusagen ein Jahreszyklus. Was wir feststellen, ist natürlich dieser Gap im Bereich Digitalisierung. HR nimmt sich selbst eigentlich als ganz avanciert wahr, wird von außen aber eigentlich eher als träge wahrgenommen. Das Thema Angst vor Spaltung in der Belegschaft ist eines, was glaube ich unsere Studie herausarbeitet wie wenige vorher. Wir haben 80 Prozent der Befragten, die sagen, wir glauben zumindest, dass es ein wenig Ärger gibt in der Belegschaft. Und ich glaube, jeder Vierte hat gesagt, er erwartet starke Spannungen in der Belegschaft. Also das finde ich bemerkenswert. Und noch viele andere Punkte, die ich jetzt natürlich nicht alle hier schon offenlegen kann. Aber wir merken eben, dass sich HR auf den Weg macht in eine neue Personalfunktion. Und dass es dann natürlich auf dem Weg auch noch ganz schön knirscht, denn man hat vieles auch, was man natürlich noch mit sich schleppt. Man hat vieles, wo man digital vielleicht noch nicht ganz da ist, wo man gerne wäre und wo man kulturell jetzt eben neu justieren muss. Aber all diese Basics müssen auch irgendwie erledigt werden. Und diese ganze Veränderung, das kommt on top. Das haben wir alle in unserem Business. Das erleben wir Medien, das werdet ihr Versicherungen ganz genauso erleben.
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